Glocken können faszinieren. Sie begleiten uns durch unser Leben. Den einen regt ihr „Gebimmel“ auf, für andere sind sie einfach da und laden als hörbare Zeichen zu den Gottesdiensten ein. Glocken hängen auf Kirchtürmen. Man hört sie, doch sehen kann man die meisten nicht. Wer einmal die Glockenstube in unserem Kirchturm bestiegen hat, ist meistens fasziniert wieder hinabgestiegen. Das ist wohl so, weil Glocken zu unserem Leben gehören.
Sie teilen Freud und Leid. Das kirchliche Glockengeläut ist Bestandteil des gottesdienstlichen Lebens. Es wird als Signal, als hörbares Zeichen für die einzelnen Gottesdienste und zur Aufforderung zu Gebet und Fürbitte an festen Gebetszeiten verwendet. Um diese besondere Funktion nicht zu verunklaren, ist eine Verwendung zu anderen Zwecken ausgeschlossen. In der Zeit des Nationalsozialismus haben Erfahrungen gezeigt, wie schnell ein beliebiger Einsatz von Glocken zum Missbrauch führen kann.
Das Glockengeläut wurde im Zusammenhang mit Sondermeldungen und Menschenehrungen verwendet. Ein Einsatz der Glocken im Katastrophenfall (wie z. B. bei der Flutkatastrophe in Hamburg Anfang der 60er Jahre) geschieht nicht in eigener Vollmacht der Kirche, sondern auf Veranlassung durch staatliche Stellen in Absprache mit dem jeweiligen Krisenstab (sog. „Polizeigeläut“).
Die Ehmer Kirche hat drei Bronzeglocken. Die kleinste von ihnen (Ø 40 cm) befindet sich in der Laterne, unterhalb des hohen, spitzen Turmhelms. Sie wurde 1897 von der Firma J. Fr. Weule (Bockenem am Harz) hergestellt und wird durch Seilzug zur halben und zur vollen Stunde angeschlagen. Die Glockenstube des Turmes ist durch große Luken wetterdicht geschlossen. Sie ist mit einem eisernen Glockenstuhl ausgestattet und hier befinden sich die zwei anderen Glocken. Die ältere (Ø 97 cm /g‘) wurde aus der Vorgängerkirche übernommen.
Über ihre Entstehungsgeschichte gibt eine zweizeilige Inschrift am unteren Rand Auskunft. Sie lautet: „Diese Klocke ist A(nn)o 1626 von den Saldaten aus der Ehmer Kirche geraubet ihne aber zu Braunswich wieder abgenomen und A(nn)o 1655 zu Flechtorf auf der Ehmer Kosten: D: M: / Carsten Hustede aus Luneburg umbgosen. Der liebe Got behute ferner vor Ungluck.“
Die große, jüngste Glocke (Ø 1,15 cm /e‘) trägt die Aufschriften „O / Land / Land / Land / höre des Herrn Wort. Js. 22/29“ sowie „Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren. Lukas 19/28“. Sie wurde, wie Jahreszahl und Firmensignet ausweisen, 1961 in der Werkstatt von F. W. Schilling (Heidelberg) gegossen. Die Glocke ersetzt zwei ältere, die beide 1897 und 1918 ebenfalls von der Firma Weule hergestellt wurden, aber in den Weltkriegen geopfert werden mussten. Auf der großen Glocke ertönen heute um sechs, zwölf und 18 Uhr jeweils neun Schläge.
Um den Gebrauch der Glocken zu unterschiedlichen Anlässen zu regeln, hat der Kirchenvorstand eine Läuteordnung beschlossen. Sonnabends wird um 18 Uhr mit beiden Glocken 10-minütig der Sonntag eingeläutet. Zum sonntäglichen Hauptgottesdienst ruft die „Kleine Glocke“ eine halbe Stunde vorher. Um 10 Uhr beginnt dann der Gottesdienst mit dem „Hauptläuten“ beider Glocken. In anderen Gemeinden läutet es vor 10 Uhr und dann ist es sozusagen ein nochmaliges Rufen, bei uns läuten die Glocken den Gottesdienst ein. Eigentlich ist es nicht üblich, die Glocken nach einem Gottesdienst zu läuten. In Ehmen ist es aber Brauch, sodass der Kirchenvorstand beschlossen hat, diese Gepflogenheit des „Ausläutens“ von Hauptgottesdiensten und der Trau- und Taufgottesdienste aufrecht zu erhalten.
Hohe kirchliche Feiertage wie Weihnachten, Ostern oder Pfingsten werden zusätzlich am Tag vorher um zwölf Uhr mit beiden Glocken eingeläutet. Karfreitag schweigen alle Kirchenglocken.
Sterbefälle in unserer Kirchengemeinde werden mit dem 10-minütigen Geläut der „Kleinen Glocke“ um 9 Uhr angezeigt. Das „Sterbeläuten“, das auf den Tod eines Gemeindegliedes aufmerksam macht, möchte zur Fürbitte für den Verstorbenen und die Angehörigen auffordern. Bei Beerdigungen auf unseren Friedhöfen erfolgt ein 15minütiges Weggeläut mit beiden Glocken, das den Gang von der Kapelle zur Grabstätte begleitet.
Das neue Jahr wird in der Silvesternacht mit einem 10-minütigen Geläut beider Glocken eingeläutet. Manchmal wird gefragt, warum um 6, 12 und 18 Uhr jeweils neun Schläge ertönen. Diese neun Anschläge auf der großen Glocke sind auf eine alte mönchische Gebetstradition zurückzuführen. Sie beziehen sich auf das Vaterunser (Anrede, sieben Bitten und Schluss) und fordern uns auf, das Gebet Jesu mit zu beten, um Vergebung von Schuld zu bitten und anderen zu vergeben. Das im Gottesdienst gemeinsam gesprochene „Vaterunser“ werden wir in Zukunft mit dem Geläut der Kleinen Glocke begleiten.
In der Läuteordnung wird auch die Zeitdauer des Läutens fixiert. Vor-, Haupt- und Ausläuten sollen nicht länger als fünf Minuten dauern. So begleiten auch bei uns in Ehmen Glocken unser Leben und läuten zu besonderen kirchlichen Festen und Anlässen im Jahreskreislauf. Sie rufen uns zu Gott und sagen uns auch unter der Woche, dass er da ist und unser Leben begleitet.
Jeder Stundenschlag kann uns die alte biblische Einsicht bewusst machen: „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31, Vers 16).